Wednesday, 29. October 2008

Everything's connected

Ich glaube ich bring's nicht fertig -- die letzten Seiten der Recherche sind zu viel für einen armen kleinen überbeschäftigten Blogger. Dass sie nicht zu viel waren für Proust, das ewig leidende Genie, der sie förmlich mit seinem letzten Lebenshauch zu Papier brachte und alle Fäden verband: unglaublich.

Heute einmal eine kleine elektrotechnische Perspektive auf eine der komprimiertesten Stellen der sonst ganz decomprimé (um nicht zu sagen: de Cambremer) daherkommenden Recherche. Doch zuerst der Ausschnitt:

Das Staunen über die Worte Gilbertes und das Vergnügen, das sie mir machten, wurde sehr schnell, während Madame de Saint-Loup sich nach einem anderen Salon hin entfernte, durch die Idee einer vergangenen Zeit ersetzt, die auch sie mir auf ihre Weise nahelegte, ja - ohne dass ich sie bisher gesehen hatte - sogar Madmoiselle de Saint-Loup. War sie nicht übrigens wie manche Menschen dem ähnlich, was in Wäldern die Markierungen an Kreuzwegen sind, an denen - wie auch in unserem Leben - Wege, die von den verschiedensten Punkten herkommen, sich vereinigen? Sie waren zahlreich für mich, die Wege, die bei Madmoiselle de Saint-Loup zusammentrafen oder von ihr sich strahlenförmig erstreckten. Vor allem aber mündeten bei ihr die verschiedensten Richtungen, nach denen ich so viele Spaziergänge gemacht und Träume entsendet hatte - durch ihren Vater Robert de Saint-Loup die Richtung Guermantes, durch Gilberte, ihre Mutter, die Richtung Méséglise, die in Swanns Welt geführt hatte. Die eine geleitete mich durch die Mutter des jungen Mädchens über die Champs-Elysées hinweg bis zu Swann, zu meinen Abenden in Combray, den Spaziergängen nach der Seite von Méséglise; die andere über ihren Vater zu meinen Nachmittagen in Balbec, wo ich ihn wieder am besonnten Meer stehen sah. Schon zwischen diesen beiden Welten entstanden Querverbindungen, denn jenes wirkliche Balbec, dem ich ja die Bekanntschaft mit Saint-Loup verdanke, hatte ich ja größtenteils wegen der Dinge, die Swann mir über Kirchen, vor allem über die "persische" Kirche gesagt hatte, aufsuchen wollen, und andererseits gelangte ich durch Robert, den Neffen der Herzogin von Guermantes, wiederum nach Combray, aber diesmal auf die nach Guermantes zu gerichtete Seite. Aber auch zu vielen anderen Punkten meines Lebens noch führte mich Mademoiselle de Saint-Loup, zu der Dame in Rosa, die ihre Großmutter war und die ich bei meinem Großonkel gesehen hatte. Hier ergab sich eine neue Transversale, denn der Kammerdiener dieses Großonkels, der mir an jenem Tage die Tür geöffnet und später durch das Geschenk einer Photographie ermöglicht hatte, die Dame in Rosa zu identifizieren, war der Vater des jungen Mannes, den nicht nur Monsieur de Charlus, sondern auch der Vater von Mademoiselle de Saint-Loup geliebt, um dessentwillen er ihre Mutter unglücklich gemacht hatte. Und hatte nicht der Großvater von Mademoiselle de Saint-Loup, nämlich Swann, zu mir als erster von der Musik Vinteuils gesprochen, ebenso wie Gilberte als erste von Albertine? Im Gespräch über die Kompositionen Vinteuils aber mit Albertine hatte ich entdeckt, wer ihre engste Freundin war, und mit ihr jenes Leben begonnen, das zu ihrem Tode geführt und mir so viele Schmerzen bereitet hatte. Der Vater von Mademoiselle de Saint-Loup wiederum war derjenige gewesen, der sich auf den Weg gemacht hatte, um Albertine womöglich zur Rückkehr zu bewegen. Auch mein ganzes Leben in der Gesellschaft war auf diese Weise zustande gekommen, sei es in Paris im Salon der Swanns oder der Guermantes, sei es ganz am anderen Ende bei den Verdurins, so dass neben die beiden Seiten, nach denen sich Combray erstreckte, und neben die Champs-Elysées auch die schöne Terrasse von La Raspelière in gleiche Linie rückte. [...] Und mochten auch die Verdurins sich noch so sehr am anderen Ende befinden, so hingen sie doch mit Odette durch deren Vergangenheit, mit Robert de Saint-Loup aber durch Charlie zusammen; und welche Rollen hatte nicht bei ihnen die Musik Vinteuils gespielt! Endlich hatte Swann die Schwester jenes Legrandin geliebt, der Monsieur de Charlus gekannt hatte, dessen Mündel wiederum der junge Cambremer heiratete. Gewiß, wenn es sich nur um unsere Herzen handelt, so hat der Dichter recht gehabt, von jenen "geheimnisvollen Fäden" zu sprechen, die das Leben zerreißt. Aber wahrer noch ist, dass es unaufhörlich zwischen den Wesen, zwischen den Ereignissen neue Fäden spinnt und untereinanderwirrt, dass es sie verdoppelt, um das Gewebe zu stärken, so dass zwischen dem geringsten Punkt unserer Vergangenheit und allen anderen ein reiches Netz von Erinnerungen uns nur die Wahl der Verbindungswege lässt.
-- Die wiedergefundene Zeit, Bd. 7/7, S. 481ff


Oder, noch weiter "vereinfacht":

Und wir bewegen uns weiter im Eiltempo auf das große Finale zu ...
I don't think I can possibly make it -- the last pages of the Recherche are by all means to much for a poor, small blogger. Unbelievable enough they weren't too much for Proust, the ever-suffering genious who wrote them and one last time pulled all the strings literally with his last breath.

So today you get an electrician's perspective on one of the very compressed passages of a novel so decomprimé (not to say: de Cambremer) at other times. But first here comes the passage:

The surprise and pleasure caused me by Gilberte’s words were quickly replaced while Mme de Saint-Loup disappeared into another room, by the idea of past Time which Mlle de Saint-Loup had brought back to me in her particular way without my even having seen her. In common with most human beings, was she not like the centre of cross-roads in a forest, the point where roads converge from many directions? Those which ended in Mlle de Saint-Loup were many and branched out from every side of her. First of all, the two great sides where I had walked so often and dreamt so many dreams, came to an end in her—through her father, Robert de Saint-Loup, the Guermantes side and through Gilberte, her mother, the side of Méséglise which was Swann’s side. One, through the mother of the young girl and the Champs Elysées, led me to Swann, to my evenings at Combray, to the side of Méséglise, the other, through her father, to my afternoons at Balbec where I saw him again near the glistening sea. Transversal roads already linked those two main roads together. For through the real Balbec where I had known Saint-Loup and wanted to go, chiefly because of what Swann had told me about its churches, especially about the Persian church and again through Robert de Saint-Loup, nephew of the Duchesse de Guermantes I reunited Combray to the Guermantes’ side. But Mlle de Saint-Loup led back to many other points of my life, to the lady in pink who was her grandmother and whom I had seen at my great-uncle’s house. Here there was a new cross-road, for my great-uncle’s footman who had announced me that day and who, by the gift of a photograph, had enabled me to identify the lady in pink, was the uncle of the young man whom not only M. de Charlus but also Mlle de Saint-Loup’s father had loved and on whose account her mother had been made unhappy. And was it not the grandfather of Mlle de Saint-Loup, Swann, who first told me about Vinteuil’s music as Gilberte had first told me about Albertine? And it was through speaking to Albertine about Vinteuil’s music that I had discovered who her intimate girl-friend was and had started that life with her which had led to her death and to my bitter sorrows. And it was again Mlle de Saint-Loup’s father who had tried to bring back Albertine to me. And I saw again all my life in society, whether at Paris in the drawing-rooms of the Swanns and the Guermantes’, or in contrast, at the Verdurins’ at Balbec, uniting the two Combray sides with the Champs Elysées and the beautiful terraces of the Raspelière. Moreover, contrast them as one might, the Verdurins were linked to Odette through her past, with Robert de Saint-Loup through Charlie and how great a part had Vinteuil’s music played in their home! Finally, Swann had loved the sister of Legrandin and the latter had known M. de Charlus whose ward young Cambremer had married. Certainly, if only our hearts were in question, the poet was right when he spoke of the mysterious threads which life breaks. But it is still truer that life is ceaselessly weaving them between beings, between events, that it crosses those threads, that it doubles them to thicken the woof with such industry that between the smallest point in our past and all the rest, the store of memories is so rich that only the choice of communications remains.
- Time Regained


Or, to put it even more simply - just see the diagram above.

And still we're rushing towards the grand final ...

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