Friday, 14. April 2006

Traumzeit

So bleibt die Welt des Wachseins [der des Schlafes] doch darin überlegen, dass sie jeden Morgen eine Fortsetzung finden kann, nicht aber allabendlich der Traum. [...]
Diese aber erfolgt nicht gleich. Noch dazu verläuft die plötzliche Rückkehr des Gedächtnisses nicht immer so einfach. Oft hat man in jenen ersten Minuten, in denen man sich ins Erwachen gleiten lässt, eine Mehrheit von Wahrheiten vor sich und glaubt, man könne sich eine davon herausziehen wie ein Blatt aus einem Kartenspiel.

-- Die Gefangene, Bd. 8, S. 2912f

Zwei altbekannte Motive werden in dieser längeren Passage über das Erwachen aufgegriffen und verknüpft: das des Schlafes und das der Erinnerung.

Noch immer ist Marcel jeden Morgen aufs Neue verwundert davon, dass die Identität, die er mit dem Aufwachen wieder annimmt, stets die selbe ist. Schon früher hatte er sich gefragt, warum dies so sei. Hier ist es erstmals die Erinnerung, deren Fehlen beim Erwachen die Unsicherheit der Identität verursacht -- es ist also auch die Erinnerung, die wieder dafür sorgt, dass wir nach dem Aufstehen in die Welt zurückkehren als der, der sie am Abend zuvor in den Schlaf hinein verlassen hat.

Die Verknüpfung, die hiermit zwischen Erinnerung und Identität geschaffen ist, wird für den Erzähler -- das weiß man selbst beim ersten Lesen einzuschätzen -- in der Suche nach seinem Selbst vermutlich entscheidend sein. Für alle anderen bleibt der unbegreifliche Wandel zwischen den so verschiedenen Menschen, deren Identität wir nachts wie tags in ständigem Wechsel anzunehmen scheinen, ein Problem der Relativität: was ist es, das uns ermöglicht, einen jener vielen, die wir wechselnd sind, anzuerkennen als unser eines wahres Ich?
The waking life does still retain the superiority, inasmuch as it is possible to continue it every morning, whereas it is not possible to continue the dream life every night. [...]
However, the instantaneous gift of memory is not always so simple. Often we have before us, in those first minutes in which we allow ourself to slip into the waking state, a truth composed of different realities among which we imagine that we can choose, as among a pack of cards.

-- The Captive

Two well known motifs are repeated and combined in this longer passage: the sleep motif and the memory motif.

Marcel is still astonished every morning that the identity he picks up in the process of waking up is always the same. Earlier, he had already wondered why this should be so. Here, for the first time, it's the lack of memory during awakening that causes the uncertainty of identity -- it is therefore also memory that makes us enter the world in the morning as the very person that had left it into sleep the night before.

The connection between memory and identity that is hereby created will be vital for the narrator in his quest for identity -- this you may guess even in the first reading. The problem left for us, the incomprehensible alteration between the different persons, whose identity we seem to take in the day and in the night, is a problem of relativity: what is it, that enables us to accept one of those many identities we alternatingly take as our one true self?

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