Friday, 25. August 2006

Death of an Impressionist

[Bergotte] war tot. Tot für immer? Wer kann es sagen. Gewiß erbringen spiritistische Experimente nicht deutlicher als religiöse Dogmen den Beweis für das Fortleben der Seele. Man kann nur sagen, dass alles in unserem Leben sich so vollzieht, als träten wir bereits mit der Last in einem früheren Dasein übernommener Verpflichtungen in das derzeitige ein; es besteht kein Grund in den Bedingungen unseres Erdendaseins selbst, weshalb wir uns für verpflichtet halten, das Gute zu tun, zartfühlend, ja, auch nur höflich zu sein; auch nicht für den Künstler, der nicht an Gott glaubt, weshalb er sich gedrungen fühlen soll, zwanzigmal sein Werk von neuem zu beginnen, dessen Bewunderung seinem von Würmern zerfressenen Leib wenig ausmachen wird. [...] Alle diese Verpflichtungen, die im gegenwärtigen Dasein nicht hinlänglich begründet sind, scheinen einer anderen, auf Güte, auf Gewissenhaftigkeit, auf Opferbereitschaft basierenden Welt anzugehören. [...] Der Gedanke, Bergotte sei nicht für alle Zeiten tot, ist demnach nicht völlig unglaubhaft.
-- Die Gefangene, Bd. 8, S. 2999f

Der gute Bergotte wurde - für einen Künstler standesgemäß - beim Besuch einer Ausstellung dahingerafft, schon kurz nachdem er die Bühne der Recherche nach langer Abwesenheit wieder betreten hatte. Die Gedanken, die Proust zu seinem Tod hier anführt, scheinen in vieler Hinsicht interessant.

Zum einen ist das Argument für die Existenz eines Jenseits oder einer höheren Daseinsebene, das Proust hier anführt, seit Kants Argumentation (die er, wenn ich mich recht entsinne, in einem frühen Werk aufgestellt und später selbst widerlegt hat) für die Notwendigkeit einer z.B. die Moral begründenden Instanz außerhalb der gegenwärtigen Welt bekannt und schon ein eigentlich spannender Gedankengang.

Zum anderen scheint mit Proust -- der wie fast durchweg in Der Gefangenen ein alter Mann zu sein scheint -- auch hier über den Sinn nachzudenken, bis an sein Totenbett, an dem er einst das Wort FIN unter sein Manuskript setzen sollte, an der Vollendung seines Kunstwerkes zu arbeiten. Ist es die Religion, eine Art Glaube, die ihm hierzu die Kraft zu geben geholfen haben?
[Bergotte] was dead. Permanently dead? Who shall say? Certainly our experiments in spiritualism prove no more than the dogmas of religion that the soul survives death. All that we can say is that everything is arranged in this life as though we entered it carrying the burden of obligations contracted in a former life; there is no reason inherent in the conditions of life on this earth that can make us consider ourselves obliged to do good, to be fastidious, to be polite even, nor make the talented artist consider himself obliged to begin over again a score of times a piece of work the admiration aroused by which will matter little to his body devoured by worms. [...] All these obligations which have not their sanction in our present life seem to belong to a different world, founded upon kindness, scrupulosity, self-sacrifice. [...] So that the idea that Bergotte was not wholly and permanently dead is by no means improbable.
-- The Captive

Poor chap Bergotte - as it behoves an artist to die he was carried off while visiting an exhibition, shortly after entering the stage of the Recherche again after a long absence. The thoughts about his death Proust drops here seem to be interesting in many ways.

For one thing, the line of argumentation proposing the existence of a kind of kingdom-come or a higher level of existence Proust mentions here is known since Kant's argumentation (which he, if I recall it correctly, puts forward in one of his earlier works only to refutes it himself later) for the necessity of a kind of authourity outside life on this earth to give reasons for e.g. moral and is in itself an interesting line of thought indeed.

For the other, it is Proust -- seemingly as an old man as nearly throughout The Captive -- reflecting on the sense of working on the perfection of his masterpiece up to his deathbed in which he is to write the last word FIN under the manuscript. Is it religion, a kind of belief, that helped giving him the strength to do so?

Janus II

Jedes geliebte Wesen und in gewissem Ausmaße sogar jedes Wesen überhaupt ist für uns wie ein Januskopf, das heißt, es zeigt uns, wenn es uns verlässt, die uns wohlgefällige Seite, eine mißliebigere jedoch, solange wir es ständig zu unserer Verfügung wissen.
 -- Die Gefangene, Bd. 8, S. 2991

Wie ich in einem früheren Eintrag, verwendet hier auch Proust das antike Bild des Janus für die ambivalente Natur der menschlichen Persönlichkeit -- oder besser ihrer Wirkung auf uns.

Eine weitere Facette der Proust'schen Kritik am Begriff der Person ist dies, die zudem eine Verbindung zum in der Gefangenen allgegenwärtigen Eifersuchtsmotiv schafft.

Nach einer verhältnismäßig langen "Durststrecke" beginnt etwa hier wieder eine Folge von interessanten, oft philosophischen Betrachtungen, die Stoff für weitere Blog-Einträge bieten mögen.
Every person whom we love, indeed to a certain extent every person is to us like Janus, presenting to us the face that we like if that person leaves us, the repellent face if we know him or her to be perpetually at our disposal.
 -- The Captive

Like I did in a previous entry, Proust here uses the ancient imagery of Janus for the ambivalent nature of human personality -- or better its effect on us.

This is yet another facet of Prousts critical view of the concept of the individuum, also making the connection to a motive omnipresent in The Captive: jealousy.

After a "tough ride" over the last pages, at about this point Proust again begins to make a series of interesting, often philosophical, reflections, some of which may lead to further blog posts.

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