Tuesday, 26. December 2006

Hollywood

Es ist ein bisschen wie im Kino, wenn am Ende dieses Hollywood-Streifens (eine Liebeskomödie übrigens) mal wieder der alte Trick mit der Verfolgung am Flughafen herhalten muss. Man würde die Geschichte niemals glauben -- aber man hat seinen Eintritt bezahlt, es war bisher recht unterhaltsam bis wirklich nett und es ist - naja - eben die Schlüsselszene. Ein Banause, der Schlimmes dabei denkt. Wir wollen ja nicht alles miesmachen.

Und so ist es auch bei Proust, in einer Schlüsselszene, wegen der "Die Entflohene" wohl doch sehr melancholisch werden müssen wird, angefangen mit der folgenden dramatisch-schicksalhaften Begebenheit, die ich Proust auch nicht abkaufen würde, wenn ich nicht schon auf Seite 3400 wäre, es wirklich gut erzählt wäre und es einfach eine unerwartete Wendung ist, die die Sache tatsächlich einmal spannend (in üblichen Sinne) macht.

Wir erinnern uns: Marcel und Albertine hatten sich nach Albertines plötzlicher Abreise Briefe geschrieben, in denen zumindest Marcel durch seine vorgetäuschte Gleichgültigkeit Albertine zur Rückkehr hatte bewegen wollen. Doch selbst das Meisterwerk dieser diplomatischen Kunst - ein Brief, in dem Marcel vorgibt, sich mit Albertines Freundin Andrée verloben zu wollen - verfehlt sein Ziel. Marcel gibt auf, seine Sehnsucht übermannt ihn:

Ich ließ allen Stolz Albertine gegenüber fahren, ich schickte ihr ein verzweifeltes Telegramm, in dem ich sie bat, unter welchen Bedingungen auch immer zu mir zurückzukehren. Sie könne tun, was sie wolle, ich bäte sie einzig darum, mich dreimal in der Woche, bevor sie schlafen gehe, eine Minute zu küssen, Und hätte sie gesagt 'einmal nur', so hätte ich mich auch mit einem Mal angefunden.
-- Die Entflohene, Bd. 9 / Bd. 3, S. 3399


Doch es ist zu spät. Kaum das eigene abgeschickt, erhält er ein Telegramm von Albertines Tante, Madame Bontemps:

Sie kehrte niemals zurück. [...] "Armer Freund, unsere kleine Albertine ist nicht mehr, verzeihen Sie mir, dass ich Ihnen, der Sie so sehr an ihr hingen, etwas so Furchtbares sagen muss. Sie ist bei einem Ausritt vom Pferd gegen einen Baum geschleudert worden. [...]"
-- Die Entflohene, Bd. 9 / Bd. 3, S. 3399


Wie einst beim Tode seiner Großmutter, bricht eine Welt für Marcel zusammen und er merkt (zu spät, und hierzu folgt der nächste Blog-Eintrag), wie unersetzlich Albertine für ihn gewesen ist. Doch es kommt noch tragischer, als Françoise hereintritt:

Françoise, die noch von nichts wusste, trat in mein Zimmer ein; mit wütender Miene rief ich ihr zu: "Was gibt es denn?". Da aber [...] kam es von ihr: "Monsieur hat keinen Grund, böse zu sein. Monsieur wird sich im Gegenteil freuen, hier sind nämlich zwei Briefe von Mademoiselle Albertine."

Ich war mir später bewusst, dass ich die Augen eines Menschen gehabt haben muss, dessen Geist aus den Fugen gerät. Ich war nicht einmal glücklich oder ungläubig. Ich war wie jemand, der dieselbe Stelle des Zimmers von einem Kanapee und einer Grotte eingenommen sieht. Da ihm nichts mehr wirklich scheint, bricht er einfach zusammen. Die beiden Briefe Albertines mussten kurz vor dem Ausritt, bei dem sie umgekommen war, abgefasst worden sein. Der erste lautete:

"Lieber Freund, ich danke Dir für das Vertrauen, das Du mir durch die Bekanntgabe Deiner Absicht beweist, Andrée zu Dir kommen zu lassen. [...] Ich glaube, Du hast da eine Idee gehabt, aus der für sie und Dich viel Gutes entstehen kann. Wenn Sie also die geringsten Schwierigkeiten macht [...], schicke mir ein Telegramm, ich übernehme es dann, auf sie einzuwirken."

Der zweite war einen Tag später datiert. In Wirklichkeit hatte sie beide sicherlich in kurzem Abstand voneinander geschrieben [...]. Er enthielt nur die folgenden Worte:

"Wäre es zu spät, dass ich zu Dir zurückkomme? [...] Ich beuge mich deinem Entschluss [...]. Wenn ich zu Dir zurückkommen darf, würde ich gleich den nächsten Zug benutzen. Von ganzem Herzen die Deine, Albertine"

-- Die Entflohene, Bd. 9 / Bd. 3, S. 3400f


Man hätte das vermutlich nicht besser schreiben können. Nichts hätte besser diese Stelle des Romans ausgefüllt, als diese fast unheimliche Tragik der beiden unabhängigen und doch postumen sehnsuchtsvollen Versöhnungswünsche.

Es bleibt für einen einfachen, kleinen Blogger wie mich nichts mehr dazu hinzuzufügen -- Frohe Weihnachten (und was noch alles so anfällt) Ihnen allen!
It's a bit like going to the movies, when at the end of this Hollywood production (a romantic comedy) it's again got to be the old lie with the rush to the airport. You'd never buy that story if anybody told it -- but you did pay the cinema ticket, it's been rather entertaining and even quite nice and it's - you know - a key scene. Only a philistine would criticize it. We don't wanna spoil everything, now really.

And that's what it is with Proust, in a key scene that is the reason why "The Fugitive" will probably be quite bleak a story. It all begins with the following dramatic and fateful incident, which I wouldn't buy either, weren't it for the fact that I'm already on page 3400, it's told quite brilliant and it's just an unexpected turn that makes the whole novel once again exciting (in the ususal sense of the word).

Let's recollect the love story so far: After Albertine's sudden departure, Marcel and Albertine had written each other letters, in which at least Marcel had been trying to make Albertine come back to him simply by pretending to be indifferent towards her. But even his masterpiece of this diplomatic art - a letter in which Marcel claims to plan an engagement with Andrée - just doesn't quite do it. Marcel surrenders to his overwhelming longing:

I forsook all pride with regard to Albertine, I sent her a despairing telegram begging her to return upon any conditions, telling her that she might do anything she liked, that I asked only to be allowed to take her in my arms for a minute three times a week, before she went to bed. And had she confined me to once a week, I would have accepted the restriction.
-- The Fugitive


But it's already too late. Just having sent his own, he receives a telegram from Madame Bontemps, Albertine's aunt:

She did not, ever, return. [...] "My poor friend, our little Albertine is no more; forgive me for breaking this terrible news to you who were so fond of her. She was thrown by her horse against a tree while she was out riding. [...]"
-- The Fugitive


As with the dead of his grandmother, Marcel's world is breaking apart. Too late (as you'll see in the next posting here) he recognizes how irreplacable Albertine has been for him. But the tragedy continues to grow as Françoise steps into the room:

Françoise, who still knew nothing, came into my room; in a sudden fury I shouted at her: "What do you want?" Then [...] she said to me: "Monsieur has no need to look cross. I’ve got something here that will make him very happy. Here are two letters from Mademoiselle Albertine."

I felt, afterwards, that I must have stared at her with the eyes of a man whose mind has become unbalanced. I was not even glad, nor was I incredulous. I was like a person who sees the same place in his room occupied by a sofa and by a grotto: nothing seeming to him more real, he collapses on the floor. Albertine’s two letters must have been written at an interval of a few hours, possibly at the same moment, and, anyhow, only a short while before the fatal ride. The first said:

"My dear, I must thank you for the proof of your confidence which you give me when you tell me of your plan to get Andrée to stay with you. [...] I feel that you have had an idea from which as much good may spring for her as for yourself. And so, if she should make the least shadow of difficulty [...], telegraph to me, I undertake to bring pressure to bear upon her."

The second was dated on the following day. (As a matter of fact, she must have written her two letters at an interval of a few minutes [...].) It contained only these words:

"Is it too late for me to return to you? [...] I shall abide by your decision [...]. If it is telling me to return, I shall take the train at once. With my whole heart, yours, Albertine."

-- The Fugitive


You probably couldn't have written it any better. Nothing would have fitted into that place in the novel better than this almost eerie tragic of the two independent, longing and yet futile attempts for reconciliation.

There's nothing left to say to that for a simple, little Blogger like me -- Merry Christmas (or whatever else there is) to you all!

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